Elke Maier
LICHTUNGEN
Markuskirche Hannover
2017
Elke Maier: LICHTUNGEN, Markuskirche Hannover, 2017
Fotos(c)AndreGermar

Elke Maier: LICHTUNGEN, Markuskirche Hannover (D), 2017
Foto (c) Wilhelm Wickbold
Elke Maier: LICHTUNGEN, Rauminstallation in der Markuskirche Hannover, 2017
aus: 04/2017 kunst und kirche
Lichtungen
Annegret Kehrbaum
"Lichtungen" - unter diesem Titel erlebten Besucherinnen und Besucher der ev.-luth. Markuskirche in Hannover im Sommer 2017 eine große Raumintervention der Künstlerin Elke Maier. Mit dem Ort der 1906 erbauten, neoromanisch geprägten Markuskirche vollzog sich das Projekt in einer der vier "signifikanten" Kulturkirchen der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, die unter dem Dach der Hanns-Lilje-Stiftung von 2013 bis 2017
Vier Wochen lang verspannte Elke Maier (geb. 1965, Studium der Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in München, lebt und arbeitet in Gmünd/Österreich) im Kirchenschiff der Markuskirche gut 30.000 Meter feines weißes Baumwollgarn. Vor dem Projekt in Hannover hatte die Künstlerin bereits unter anderem in Graz, Innsbruck, Berlin, Würzburg, Salzburg und Wien das Grundprinzip ihrer Arbeit erprobt: Durch tausende von weißen Fäden erschafft sie einen visuell-visionären Kunstraum im konkreten architektonischen Raum.
In Hannover antwortete Elke Maier auf den asymmetrischen Grundriss der Markuskirche mit einem gleichfalls asymmetrischen Raum-Faden-Konzept, das an einem einzigen Punkt in etwa 14 Meter Höhe aufgehängt war. Auf einem hohen Gerüst musste sie Faden für Faden durch die Aufhängung ziehen, vorsichtig in den Raum hinab lassen und anschließend unter Spannung im Boden verankern. Bewegungen des natürlichen Lichts wiesen der Künstlerin den Weg zu den Punkten, an denen sie die zarten Fäden befestigte. Diese kräftezehrende Arbeit geschah während der niedersächsischen Sommerferien bei geöffneten Türen - viele Passanten und Touristen zeigten sich bei einer Zufallsvisite in der Kirche freudig-überrascht, zückten ihre Kameras und beobachteten die Arbeit der Künstlerin. Am Ende der Sommerfe- rien war die allmähliche Transformation des Raums vollzogen und die Raumintervention ließ sich nicht nur in den Gottesdiensten, sondern auch während eines geregelten Ausstellungsbetriebs samt Begleitprogramm wirkungsvoll erleben.
Es gibt Kunstwerke, die unsere Wahrnehmung so sehr herausfordern, dass unsere geschärften Sinne das Schauen und Raumerleben zu einem fast selbstvergessenen Akt perzeptiver Reflexion werden lassen. Das dadurch ausgelöste intensive Schauen, Fühlen und Denken führt den Betrachter unwillkürlich zu existenziellen Erfahrungen. Unmerklich und unmittelbar wird auch beim Erleben von Elke Maiers Fadeninstallation aus Sinneserfahrung eine zutiefst persönliche Sinnerfahrung: Die im Raum verspannten Fäden sind für den Betrachter physisch spürbar, das wandernde und in seiner Intensität wechselnde Naturlicht wird in verschiedensten Graden reflektiert. Bewegt man sich in und um die Fäden herum, verschwimmen die Tiefenabstände vor den Augen und man gerät vorantastend ins Staunen.
Es ist wahrscheinlich dieses Moment des Erlebens einer fast absoluten Wahrnehmung und der damit verbundenen Transzendenzerfahrung, das die Rauminterventionen von Elke Maier gerade für sakrale Projekte so interessant macht. Maier sucht den Dialog mit dem architektonischen Raum, sie möchte mit ihrer künstlerischen Arbeit "etwas ins Herz des Ortes einpflanzen", wie sie sagt. Land Art-Projekte wiesen ihr den Weg zu einer Kunstauffassung, bei der sie die zu entwickelnde künstlerische Gestalt "nicht als Grenze, sondern grenzenlos, als Prozess, als ein Moment innerhalb universeller Bewegungen" denkt. Das Ziel ihrer Eingriffe in den Raum (Rauminterventionen) versteht sie als Aneignung von Wirklichkeit und Annäherung an das Nicht-Vertrautein einer Dimension, die jenseits der Sprache angesiedelt ist. Kontrapunktisch zu der Licht-Faden-Installation im Kirchenschiff, doch ebenfalls als eine abstrakt geformte Interaktion mit einem Kirchenraum wurden zeitlich parallel zu "Lichtungen" in der benachbarten Kapelle der Markuskirche Gemälde des Braunschweiger Malers Lienhard von Monkiewitsch gezeigt. Monkiewitschs vom schwarzen Pigment dominierte Farb- räume verwandeln die berühmten Fibo- nacci-Zahlen in geometrische Flächen- kompositionen von großer Ruhe und Tiefe. Unter dem Titel "Maß und Empfindung" standen seine Gemälde als eine eigene Raumformung in fruchtbarem Kontrast zum Prinzip maximalmöglicher Lichtreflexion in Elke Maiers Arbeit.
Zur Ausstellung wurden Gottesdienste, Vorträge, Musikveranstaltungen und eine eigens für "Lichtungen" entwickel- te Tanz-Performance veranstaltet, zu- dem gab es Führungen und künstleri- sche Vermittlungsprojekte für Kinder und Jugendliche. Ein synästhetischer Höhepunkt präsentierte sich in einem Gottesdienst in Form einer musikalisch- räumlichen Auseinandersetzung mit Elke Maiers Fadeninstallation durch den Ausnahme-Trompeter Markus Stockhausen und die Klarinettistin Tara Bouman. Die Zitate stammen aus dem Katalog "Elke Maier: Lichtungen", herausgegeben von der Ev.-luth. Apostel-und-Markus-Kirchengemeinde Hannover.
Dr. Annegret Kehrbaum
Kulturkirche Markuskirche_Elke Maier 2017_Kuenstl. Grundlagen_30.11.16_AKElke Maier: Lichtungen_Raumintervention in der Kulturkirche Markuskirche, Hannover-List
06.08.-17.09.2017
Künstlerische Grundgedanken zu Elke Maiers Arbeit AK, 30.11.16
Elke Maier (geb. 1965) arbeitet mit Licht, das sie mit Hilfe von weißen Fäden einfängt. Ausgangsmaterial ist feines weißes Nähgarn, das sie in Tausenden von Metern im Raum verspannt. Die Fäden sind so befestigt, dass weder genau zu sehen ist, wo sie beginnen, noch wo sie enden. Während des langen Entstehungsprozesses einer Raumintervention erkundet die Künstlerin den Raum, erprobt seine Wirkungen, verfolgt das Licht in seiner Bewegung, um daraus die entscheidenden Spannungspunkte und Linienführungen zu entwickeln. Das Garn dient zur Sichtbarmachung des Lichts, da Licht Materie braucht.
Auch in dunkleren Räumen bahnt sich das Licht seinen Weg. Fast mehr noch als die Feierlichkeit eines von der Sonne produzierten großflächigen Erstrahlens interessiert die Künstlerin die Wahrnehmung minimaler Lichtverhältnisse, bis hin zu der Frage, ob vielleicht nur das Leuchten eines einzigen Fadens genügt, um für die im Raum Anwesenden die Präsenz der Gesamtheit der Fäden erfahrbar zu machen.
Ist
die Intervention einmal fertiggestellt, so handelt es sich wiederum um
veränderliche,
nie gleiche Raumerlebnisse, durch die der Betrachter den Raum immer
wieder neu erlebt: "Es ist nicht feste Form, sondern Prozess, sichtbarer
Niederschlag von Spuren einer Bewegung im Raum, wobei Kunstwerk und
Raum keine Polarität bilden." (Elke Maier, zit. n. DER STANDARD,
22.12.2010) Gerade beim vorsichtigen Durchschreiten des
Raums wird dessen geheimnisvolle Verwandlung erlebbar. Der Raum wird ein
Ort der
Kontemplation, der beim Betrachter unwillkürlich Fragen nach
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, nach Zeit- und Wirklichkeitserleben
aufkommen lässt. "Da kann Transzendenz
durchaus als etwas sehr Konkretes erfahrbar sein."
(Elke Maier, Katalog "Ins Licht getaucht", Galerie Weihergut, Salzburg 2011, S. 6)
Katalog: Elke Maier - Lichtungen. Eine Raumintervention in der Markuskirche Hannover. Hrsg. Evangelisch-lutherische Apostel- und Markus-Kirchengemeinde. Konzept und Essay von Annegret Kehrbaum, mit einem Interview von Annegret Kehrbaum mit Elke Maier. Hannover 2017.
aus: 04/2017 kunst und kirche
Lichtungen
Annegret Kehrbaum
"Lichtungen" - unter diesem Titel erlebten Besucherinnen und Besucher der ev.-luth. Markuskirche in Hannover im Sommer 2017 eine große Raumintervention der Künstlerin Elke Maier. Mit dem Ort der 1906 erbauten, neoromanisch geprägten Markuskirche vollzog sich das Projekt in einer der vier "signifikanten" Kulturkirchen der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, die unter dem Dach der Hanns-Lilje-Stiftung von 2013 bis 2017
Vier Wochen lang verspannte Elke Maier (geb. 1965, Studium der Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in München, lebt und arbeitet in Gmünd/Österreich) im Kirchenschiff der Markuskirche gut 30.000 Meter feines weißes Baumwollgarn. Vor dem Projekt in Hannover hatte die Künstlerin bereits unter anderem in Graz, Innsbruck, Berlin, Würzburg, Salzburg und Wien das Grundprinzip ihrer Arbeit erprobt: Durch tausende von weißen Fäden erschafft sie einen visuell-visionären Kunstraum im konkreten architektonischen Raum.
In Hannover antwortete Elke Maier auf den asymmetrischen Grundriss der Markuskirche mit einem gleichfalls asymmetrischen Raum-Faden-Konzept, das an einem einzigen Punkt in etwa 14 Meter Höhe aufgehängt war. Auf einem hohen Gerüst musste sie Faden für Faden durch die Aufhängung ziehen, vorsichtig in den Raum hinab lassen und anschließend unter Spannung im Boden verankern. Bewegungen des natürlichen Lichts wiesen der Künstlerin den Weg zu den Punkten, an denen sie die zarten Fäden befestigte. Diese kräftezehrende Arbeit geschah während der niedersächsischen Sommerferien bei geöffneten Türen - viele Passanten und Touristen zeigten sich bei einer Zufallsvisite in der Kirche freudig-überrascht, zückten ihre Kameras und beobachteten die Arbeit der Künstlerin. Am Ende der Sommerfe- rien war die allmähliche Transformation des Raums vollzogen und die Raumintervention ließ sich nicht nur in den Gottesdiensten, sondern auch während eines geregelten Ausstellungsbetriebs samt Begleitprogramm wirkungsvoll erleben.
Es gibt Kunstwerke, die unsere Wahrnehmung so sehr herausfordern, dass unsere geschärften Sinne das Schauen und Raumerleben zu einem fast selbstvergessenen Akt perzeptiver Reflexion werden lassen. Das dadurch ausgelöste intensive Schauen, Fühlen und Denken führt den Betrachter unwillkürlich zu existenziellen Erfahrungen. Unmerklich und unmittelbar wird auch beim Erleben von Elke Maiers Fadeninstallation aus Sinneserfahrung eine zutiefst persönliche Sinnerfahrung: Die im Raum verspannten Fäden sind für den Betrachter physisch spürbar, das wandernde und in seiner Intensität wechselnde Naturlicht wird in verschiedensten Graden reflektiert. Bewegt man sich in und um die Fäden herum, verschwimmen die Tiefenabstände vor den Augen und man gerät vorantastend ins Staunen.
Es ist wahrscheinlich dieses Moment des Erlebens einer fast absoluten Wahrnehmung und der damit verbundenen Transzendenzerfahrung, das die Rauminterventionen von Elke Maier gerade für sakrale Projekte so interessant macht. Maier sucht den Dialog mit dem architektonischen Raum, sie möchte mit ihrer künstlerischen Arbeit "etwas ins Herz des Ortes einpflanzen", wie sie sagt. Land Art-Projekte wiesen ihr den Weg zu einer Kunstauffassung, bei der sie die zu entwickelnde künstlerische Gestalt "nicht als Grenze, sondern grenzenlos, als Prozess, als ein Moment innerhalb universeller Bewegungen" denkt. Das Ziel ihrer Eingriffe in den Raum (Rauminterventionen) versteht sie als Aneignung von Wirklichkeit und Annäherung an das Nicht-Vertrautein einer Dimension, die jenseits der Sprache angesiedelt ist. Kontrapunktisch zu der Licht-Faden-Installation im Kirchenschiff, doch ebenfalls als eine abstrakt geformte Interaktion mit einem Kirchenraum wurden zeitlich parallel zu "Lichtungen" in der benachbarten Kapelle der Markuskirche Gemälde des Braunschweiger Malers Lienhard von Monkiewitsch gezeigt. Monkiewitschs vom schwarzen Pigment dominierte Farb- räume verwandeln die berühmten Fibo- nacci-Zahlen in geometrische Flächen- kompositionen von großer Ruhe und Tiefe. Unter dem Titel "Maß und Empfindung" standen seine Gemälde als eine eigene Raumformung in fruchtbarem Kontrast zum Prinzip maximalmöglicher Lichtreflexion in Elke Maiers Arbeit.
Zur Ausstellung wurden Gottesdiens- te, Vorträge, Musikveranstaltungen und eine eigens für "Lichtungen" entwickel- te Tanz-Performance veranstaltet, zu- dem gab es Führungen und künstleri- sche Vermittlungsprojekte für Kinder und Jugendliche. Ein synästhetischer Höhepunkt präsentierte sich in einem Gottesdienst in Form einer musikalisch- räumlichen Auseinandersetzung mit Elke Maiers Fadeninstallation durch den Ausnahme-Trompeter Markus Stockhausen und die Klarinettistin Tara Bouman. Die Zitate stammen aus dem Katalog "Elke Maier: Lichtungen", herausgegeben von der Ev.-luth. Apostel-und-Mar- kus-Kirchengemeinde Hannover.
Ausgewählte Literatur von Dr. Annegret Kehrbaum über Elke Maier
Kat. Elke Maier - Lichtungen. Eine Raumintervention in der Markuskirche Hannover. Hrsg. Evangelisch-lutherische Apostel- und Markus-Kirchengemeinde. Konzept und Essay von Annegret Kehrbaum, mit einem Interview von Annegret Kehrbaum mit Elke Maier. Hannover 2017.
Kehrbaum, Annegret: "Temporäre Kunst im Kultraum: Transzendenz-Erleben als Wahrnehmungsdialog von Kultur und Religion", in: Minta, Anna (Hrsg.): "Raumkult – Kultraum. Architektur und Ausstattung im posttraditionalen Gemeinschaften", Tagungsband zur Tagung in der Kath. Privat-Universität Linz, 15.-17.3.2018. Bielefeld: Transcript-Verlag 2018, S. 235-249. über Elke Maiers Raumintervention "Lichtungen" in der Markuskirche Hannover
Dr. Petra Bahr
Landessuperintendentin für den Sprengel Hannover
Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers
Manuskript
Predigt vom 06.08.2017
Gottesdienst zur Ausstellungseröffnung "Lichtungen" und "Maß und Empfindung"
in der Markuskirche Hannover
Es gilt das gesprochene Wort.
Was wäre, wenn das Licht nie mehr anginge, sagt das Kind und schaut in den Nachthimmel. Was wäre, wenn das Licht nie mehr anginge über der Welt. Würden sich die Monster unter meinem Bett dann vermehren? Die Himbeerpflanzen im Garten keine Früchte mehr tragen? Die Füße wundgestoßen an Tischbeinen und Legosteinen. Die schlimmen Träume und die schönen kein Ende haben, das man in der Früh, noch schlafwarm, erzählen könnte. Was wäre, wenn das Licht nicht zurückkäme und die Sonne auf der anderen Seite der Welt bliebe, bei Tante Hilde und den Cousinen, viele Flugstunden entfernt? Was wäre, wenn es Nacht bliebe in der Welt? So fragt das Kind, weil ihm sein Vertrauen in die Welt noch als Kühnheit hilft und die Erwartung des Morgens ersehnt, aber nicht selbstverständlich. "Es werde Licht, sagt Gott". Und es wurde Licht. Das kindliche Befragen der Welt haben wir uns abgewöhnt. Unser Vertrauen in die Welt mag noch so erschüttert zu sein, Gewohnheiten hindern uns am kindlichen Fragen. Da- bei begann im kindlichen Fragen alle Religion. Es werde Licht, sagt Gott. Und es wurde Licht. Die Welt konnte endlich Konturen ausbilden, die Dinge Namen bekommen, zwischen den Nuancen von Dämmerung bis gleißen- dem Licht hatte auch der Schatten Platz, der Kleines in Riesiges zu ver- wandeln in der Lage war. Der Grüffolo-Effekt als Weltprinzip. Mit dem Licht kam die Freude und die Angst vor der Nacht, mit dem Licht kam der Hori- zont, der seitdem unseren Sehsinn vor dem Schwindel bewahrt und die Größenverhältnisse ordnet. Dabei gibt es ihn gar nicht, den Horizont. Je- denfalls lässt er sich nicht abschreiten. Seit alters wird das Licht zum Zeichen des Göttlichen. Es ist die lebensspendende Kraft und die alles verzeh- rende Hitze, der wärmende Strom und kalte Ausleuchtung aller Verhältnis- se, die Klarheit der Dinge und die unerbittliche Transparenz, die jeden Ma- kel, jeden Staub, jede Schmutzspur sichtbar macht. Seit jeher versuchen Künstler, das Licht einzufangen. Eine Kunstgeschichte des Lichtes braucht deshalb nicht geschrieben werden, weil jede Kunstgeschichte genau dieses ist, der Versuch, Licht und Schatten, Farbe und Energie, irritierende Bewe- gung und dunklen Abgrund zu bannen. Das Licht als Medium für Zeit und Raum ist die ultimative Herausforderung der Kunst und gleichzeitig ihre Bedingung. Deshalb steht Elke Maier in einer langen Tradition. Die Fäden, die durch den Raum gespannt sind, wurden in den Kritiken mit großen al- ten Worten kommentiert. Das Erhabene ist wieder da, hier, in der Markuskirche. Es erfüllt den Raum, materiell gewordener Geist, stürzt vom Gebälk bis auf den Boden und erstarrt. Wer sie beobachtet hat von Ferne, beim Aufspannen der Fäden, der konnte sich an die Schöpfungsgeschichte erin- nern. Mühsam muss es gewesen sein, das Licht Strahl für Strahl über der Welt zu knüpfen, eine große Arbeit, ein langer Prozess. Es wäre viel Platz, nach Analogien zu suchen. Die Bibel ist voll in lichtgetränkten Texten, jeder Faden eine Verbindung zur Herrlichkeit Gottes. Dafür bräuchte des aber keine Predigt, sondern eine Psalmlesung. Es wäre viel Platz, um nach Anspielungen in der Kunst zu suchen. Die Annuntiatio Domini-Darstellung eines alten unbekannten Meisters aus dem 12. Jahrhundert etwa, die in einer kleinen Kirche in Norditalien hängt. Der Erzengel Gabriel kündigt Maria die Geburt eines Sohnes an, die Geburt des göttlichen Kindes. Tausende feiner Fäden ziehen sich aus dem Himmel bis zu Maria, die auf einem Schemel sitzt - im Strahlenkranz wie zarten Seidenfäden gesponnen. Doch dazu bräuchte es einen kunstwissenschaftlichen Vortrag. Ich bin sicher, davon wird es noch einige geben. In einer Zeit, in der Kunstpositionen wieder schlichte politische Botschaften verkündigen sollen, betört mich die Installation im Kirchraum so, weil sie sich dieser Klarheit verweigert. Weder illustriert Elke Maier eine religiöse Tradition, ein geistliches Lied oder einen Gesangbuchvers, in dem sowieso schon alles gesagt ist. Noch zitiert sie, wie es sich für Kunst im Kirchenraum gehört, all die Bilder, die wir schon gesehen haben im Laufe unseres Lebens. Oder vielleicht tut sie sogar bei- des. Sie spannt ihr Kunstwerk nicht für politische oder theologische Zwecke ein. Sie lässt es frei. Alles Elend dieser Welt lässt sich in den Fäden ein- spannen, oder auch nicht. Es ist was es ist. Es wurde, was es wurde. So stelle ich mir vor, hat Gott die Welt erschaffen. Ein zweckloser Zweck. Zu seinem Wohlgefallen. Die Welt ist, was sie ist. Voller Zweideutigkeiten und unmöglicher Möglichkeiten, voller Bindfäden, die sich vom Erhabenen in einen Schrecken verwandeln können, in dem man sich verheddern kann, Fallstricke des Teufels oder starke Bindungen der Liebe. Das Kunstwerk ist, was es ist. Ein schöpferischer Prozess der Aneignung dieses Raumes, mitten in unserer Zeit. Es verträgt strenge Meditationen und beiläufige Blicke, Gelächter und Tränen, Rührung und Humor, sogar Besserwissereien oder Ignoranz. Es füllt den Raum als Darstellung des Undarstellbaren, als Zweck in sich selbst, als Botschaft, die alles, sogar gar nichts bedeuten muss. Im Kirchraum ist es gar nicht so leicht, die Fäden nicht für seine Zwecke ein- zuspannen, für die erfüllte Gegenwart oder die schmerzende Erwartung auf Gottes Trost und Licht. Es ist gar nicht einfach, dem Kunstwerk den Raum für eine Weile zu überlassen. Wir umgarnen es mit der Sehnsucht nach Bestätigung. Dabei wäre vielleicht das die heilsamste Irritation: Keine Refe- renz, kein Gewicht, keine Bedeutung. Ein Spiel der Zeichen. Gar nicht einfach. Das auszuhalten. Doch wer es aushält, wird belohnt. Mit der Erfahrung der Absichtslosigkeit. Das kann auch mathematische Absichtslosigkeit sein, ein kalkuliertes Spiel mit Maß und Zahl. Wer sich vor ein Bild von Lienhard von Monkiewitsch stellt, kann mit Leibnizlektüren glänzen und mit Kenntnissen über den großen anderen Schöpfer schwarzer Quadrate. Er kann räisonieren über die Materialität des Unendlichen. Oder einfach nur schauen, solange bis er aufgesogen wird vom Bildraum. Dann ist es wie ein gutartiger Schwindel, ein kleiner Rausch des Sehsinns. Diese Zumutung, dieses Versprechen, diesen Widerspruch schafft die Kunst: Für einen Moment zu ertragen, mit Vergnügen oder Mühe: ist was es ist. Dieses Versprechen spannt sich auf über tausend Möglichkeiten. Es verändert den Blick auf den Raum, es spielt mit unserem Zeitgefühl. Es lenkt aufs Wundervollste vom zuhören und mitsingen ab. Es nimmt viel Platz weg, auch in unseren Köpfen. Hier, genau hier liegt die großartige Verbindung zwischen dem christlichen Glauben an die Verheißung der göttlichen Gegenwart und der Kunst. Genau hier liegt die Verheißung ihres Gesprächs. Nichts müssen zu müssen. Sich dreingeben. Es geschehen lassen. Untätig sein. Vollkom- men und getröstet nutzlos zu sein, für ein paar Augenblicke, im Wider- schein der tausend Fäden, vor dem schwarzen Bild. Und Gott sprach, es werde Licht.