Elke Maier
Metropolitan- und Domkirche St. Stephan Wien (A)
FASTENSCHLEIERTUCH
2014
Foto (c) Christof Lerch
Elke Maier
Metropolitan- und Domkirche St. Stephan in Wien (A)
von Aschermittwoch bis zur Langen Nacht der Kirchen 2014
Nach der alten christlichen Fastentuch Tradition werden in der österlichen Bußzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern das Altarbild und das Kreuz verhüllt. Dieser für viele nicht leicht verständlichen Tradition soll durch eine unkonventionelle und zeitgenössische Kunstintervention neues Leben eingehaucht werden.
Heuer fasziniert das Werk der Künstlerin Elke Maier, die mit tausenden Seidenfäden die gesamte Raumhöhe des Domes durchspannt.
Erst durch das Sonnenlicht wird das dünne Seidengarn der Fadeninstallation sichtbar und bildet in wechselnder Durchsichtigkeit einen Blickfang auf den Altarbereich. Vom Riesentor eintretend ist die Installation wie ein Fastenschleiertuch vor dem Hauptaltar erkennbar. Je weiter man durch das Hauptschiff in Richtung Altar schreitet, umso deutlicher wird die Komplexität der verschieden neu gebildeten Räume sichtbar. Wie ganz dünne Fächer bilden die tausenden Fäden, die aus den Gewölbe-Öffnungen aus 28 Meter Höhe bis knapp über die Köpfe der Dombesucher abgespannt sind, kristalline verbergende und immer wieder sich neu eröffnende Räume.
Künstlerische Intervention von Elke Maier im Wiener Stephansdom
Der Dompfarrer von St. Stephan, Toni Faber, hat die Künstlerin Elke Maier mit der Gestaltung eines "Fastentuches" für den Aschermittwoch 2014 und die nachfolgende österliche Bußzeit beauftragt.
Elke Maier setzt sich seit Jahrzehnten mit künstlerischen Interventionen in sakralen Räumen auseinander. Ihre Arbeiten wurden bereits von vielen tausenden Besuchern rezipiert und sind insbesondere im deutschsprachigen Raum bekannt.
Im Dom zu St. Stephan in Wien hat Elke Maier aus einer Vielzahl feinster weißer Seidenfäden eine raumgreifende Installation geschaffen, deren Idee, Entstehungs prozess und Form untrennbar verbunden sind mit der Authentizität dieses ganz besonderen Kirchenraumes, von daher einzigartig und auf keinen anderen Ort übertragbar.
Die Künstlerin entwickelte ihr Werk im Stephansdom von Anfang an in kontinuierlichem Dialog mit dem Raum und mit dem im Raum wandernden Sonnenlicht, wobei die Form ihres Kunstwerkes noch die prozessuale Bewegung seiner Entstehung erkennen lässt.
Die Menschen haben den Entstehungsprozess ihres Werkes von Anfang an (27.01.2014) ganz unmittelbar im Dom miterlebt, konnten sehen, wie die Künstlerin Stunde für Stunde, Tag für Tag, Faden für Faden feinstes weißes Seidengarn (ca. 50.000 m) aus den Öffnungen im Kreuzrippen-Gewölbe in den Kirchenraum gespannt hat, um dann, einen nach dem anderen in höchster Präzision an Drahtseile zu knüpfen, die über die gesamte Breite des Mittelschiffes zwischen den gotischen Steinpfeilern befestigt worden sind.
Da sie immer für ein paar wenige einzelne Fäden vom Inneren des Kirchenraumes hinauf über das Gewölbe (134 Stufen) und wieder hinabsteigen musste, hat es rund 300 Stunden gedauert bis sie ihre Arbeit vollendet hatte.
Blickt man nun vom Eingang zum Altar, so verdichten sich die unzähligen
haarfeinen weißen Fäden zu einem transluziden kristallinen Gewebe, das je nach Lichteinfall zwischen durchsichtig und undurchsichtig oszilliert und eigentlich erst zur Erscheinung kommt, wenn sich das Licht darin reflektiert.
Es begegnet von sich her, oft nur für Augenblicke, prozesshaft, im ständigen Übergang vom sichtbar Anwesenden zum unsichtbar Anwesenden.
Das "Fastenschleiertuch" von Elke Maier verwandelt sich in intensivem Dialog mit dem im Raum wandernden Sonnenlicht: wenn gegen Mittag die Sonne durch die Fenster über dem Friedrichsgrab einfällt und die ersten Fäden berührt, dann taucht es plötzlich quasi aus dem Nichts auf wie ein funkelnder Kristall, entfaltet sich zu immer neuen Dimensionen, lässt neue Galaxien und Sternenbahnen entstehen, aus dem Inneren des Domes.
Elke Maier
Saint
Stephen`s Cathedral in Vienna 2014
THE TRANSLUCENT LENTEN VEIL
Temporary Art Installation by Elke Maier
Following
the old Christian tradition of the Lenten veil, the main altarpiece and
the crucifix are covered during Lent from Ash Wednesday to Easter
Sunday. As this notion is quite difficult to understand for many people,
an unconventional and contemporary artistic installation should breathe
new life into this tradition.
This year the Austrian artist Elke Maier has spanned the complete height of the cathedral with thousands of pieces of silken threads.
Only the sunlight makes the thin silken thread visible which, in ever-changing transparency, catches the eye towards the chancel. Entering by the giant door, the visitor perceives the installation as a veil covering the main altar. The further he walks through the nave towards the altar, the more visible the complexity of the different newly built spheres becomes. Like very thin fans the thousands of threads spanning from the hatches of the vault 28 m high up to shortly above the heads of the visitors form crystalline like areas, hiding and opening up again and again.
Artistic Intervention by Elke Maier Saint Stephen`s Cathedral in Vienna
The
Parish Priest of Saint Stephen`s, Toni Faber has commissioned the
artist Elke Maier with the creation of a Lenten veil from Ash Wednesday
until Easter Sunday 2014.
Elke Maier has been focussing on artistic
projects in sacral spaces for decades. Her work has already been
appreciated by thousands of visitors and is especially well-known in the
German-speaking world.
In Saint Stephen`s Cathedral in Vienna, Elke
Maier has created an expansive installation using a multitude of finest
white silken threads, an installation whose idea, creative process and
form are inseparably combined with the authenticity of this specific
church, so being unique and not transferable to any other place.
From
the very beginning, the artist has developed her work in Saint
Stephen`s in a process of continual dialogue with the interior and the
sunlight moving in it, where the form of her work of art still indicates
the progressive process of its development.
Visitors who were able
to experience in close proximity the development of her work from the
very beginning on 27 January 2014, could see how her work progressed,
hour for hour and day after day. The artist spanned thread of the finest
white silk (about 50.000 meters) from the hatches in the cross-ribbed
vault to the bottom, where she tied each one with maximum precision onto
wire ropes covering the complete width of the main nave and attached to
the Gothic stone pillars on each side. As she had to climb up to the
vault (134 steps) and down again for every few single pieces of thread,
it took her about 300 hours to complete the work.
Looking from the
entrance of the cathedral to the altar, the visitor will discover
innumerable very fine white threads condensing into a translucent
crystalline tissue which depending upon how the light oscillates between
the visible and the invisible, actually only becoming really
perceptible when the sunlight is being reflected. It appears, often only
for moments, process-oriented, an ever-changing transition from the
visible presence to invisible presence.
The "Translucent Lenten Veil"
by Elke Maier keeps changing in intensive dialogue with the sunlight
moving through the room. When at noon the sun shines through the first
thread, it then fully manifests itself. It does so quite suddenly, like a
glittering crystal quasi out of the void, unfolding to continuous new
dimensions, creating new galaxies and stellar orbits, from the interior
of the Saint Stephen`s Cathedral.
Brief von Peter Paszkiewicz an Elke Maier, am 25. März 2014
..) Was mich immer noch beschäftigt ist, dass die Form die Du mit den Fäden erzeugst, keinen Rand hat. Man kann nicht feststellen wo sie aufhört und wo der Umraum beginnt, dennoch ist sie exakt bestimmt.
Dieser besondere Zustand von Morphologie, der Anlass zu Nachdenklichkeit ist.
Plötzlich entsteht ein anderes Verständnis einer Elektronenwolke, es fällt einem plötzlich eine andere Form von Zugang in den Schoß.
Ich denke dabei an Fotos, an unterschiedliche Zustände, Erscheinungsformen von Elektronenwolken.
Es ist nicht so, dass da Teile um den Atomkern flitzen, es sieht vielmehr wie ein sichtbares elektrisches/magnetisches Feld, wie ein partieller Schneesturm aus. Aber das ist lediglich ein Vergleich.
Die Elektronenwolke ist dynamisch.
Das Fadengespinst ist zum einen statisch, zum anderen ist es so transparent, dass es nicht festzumachen ist. Es ist gleichzeitig beiden Seiten zugehörig, einem statischen und gleichermaßen dynamischen Zustand.
Es könnte auch Anlass eines physikalischen Forschungsprojektes sein, bzw. eines das sich mit Wahrnehmung beschäftigt.
Da wird deutlich, dass ein Übergehen der Form die da erarbeitet ist, in ihre Umgebung besteht.
Wir haben damit ein Phänomen das uns einen Hinweis auf die Relativität von Körpern gibt, auch wie diese im Raum verankert zu sein scheinen.
Wobei der Begriff Körper hier auf einen Zustand hinweist.
Er unterscheidet sich nur in seiner Dichte vom Umraum.
Das Projekt in seiner Beispielhaftigkeit ist von Interesse für Morphologen, die nicht über das Kunstverständnis an das Phänomen herangehen, was ein Hinweis auf Vielfältigkeit ist die ausufert.
Es ist das ein Zustand der gleichzeitig Form und Raum ist.
Dies als ein Übergang der in seiner Plausibilität außergewöhnlich ist, den wir sonst annähernd nur an Glaskörpern wahrnehmen.
Die Konstruktion an sich ist völlig klar, was sie aber in uns erzeugt ist etwas anderes, ein neues Bild wie sich Raum und Form verhält, dass beides nicht nur gleichzeitig der Fall ist, sondern dass dies offenbar eine Gesetzmäßigkeit darstellt. Nehmen wir doch gewöhnlich einen festen Körper wahr und seinen Umraum, der dreidimensional ihn umgibt, auf ihn trifft und fugenlos ihn umschließt.
Dass diese Vorstellung unser Denken prägt, tatsächlich aber so nicht ist.
Eine Form im Raum und dieser ist dasselbe.
Im skulpturalen Tun ist das plausibel, im gesellschaftlichen Denken und Wahrnehmen keineswegs.
Im physikalischen und skulpturalen Sinn kommt ja der Form eine größere Dichte zu als dem Raum um sie. Der Unterschied ist ein offensichtlicher aber kein grundsätzlicher. Dein Projekt im Dom macht das deutlich indem es den Unterschied aufhebt und den gleichen Zustand von Form und Raum herstellt. Das ist geradezu ein Lehrbeispiel skulpturaler Bedingung.
Dass die Besucher, besonders in einer Kirche das Erleben spirituell vernetzen ist zwar ein Verlust an Begreifen, wenn auch nicht an Erleben, sollte aber nicht dazu führen, dass die tatsächlichen Wunder unentdeckt bleiben.
Unser lineares Denken ist das wirkliche Hemmnis, es schließt die Gleichzeitigkeit aus. Wir haben damit lediglich einen Begriff der sich nicht erfüllt.
Das Projekt kommt ohne Erklärung aus, dies ist erfrischend, schränkt es doch beim Betrachter das eigene Erleben nicht ein.
Der Abstand, der Raum zwischen den Fäden und diese sind gleichbedeutend. Wir können also nicht sagen ob die Form mit dem Faden oder dem Zwischenraum endet, bzw. der Umraum dort beginnt. Diese Ungewissheit in einem Kirchenraum rückt einiges zurecht in Richtung Wirklichkeit.
Deine Arbeit im Dom (...) hat mich beschäftigt, auch hinsichtlich Skulptur aus fester Materie, weil sie eine sehr andere Sicht klar macht, weil Form und Raum ineinander gehen und offensichtlich ein durchgehendes Ganzes bilden.
Das ist eine Synthese.
Brief von Peter Paszkiewicz an Elke Maier, 20. April 2014
(...) Deine Raumintervention im Dom ist gleichermaßen Raum und Form.
Eine Skulptur könnte gleichzeitig schwere Materie (Stein etwa) und schwerelos sein, eben das kreative Moment das nicht physisch ist und deshalb kein Gewicht hat. Also gleichzeitig schwer und schwerelos. Raum und Form ist in diesem Fall nicht trennbar und Gewicht und Schwerelosigkeit ist es ebenso wenig, besteht sie doch gleichzeitig in einem Ding. Man könnte beide Positionen so kombinieren, dass sie eine Multiplikation bilden. Eine hohe Sinn-Summe würde sich daraus ergeben, das ist anzunehmen. (...)
Schwarzen Granit so zu polieren, dass er das Licht reflektiert, führt dazu, dass eine Skulptur nicht mehr als Formgebilde, sondern nur noch als irritierender Reflex wahrnehmbar ist.
Sie löst sich im Licht auf. Brancusi versuchte das. Man kann das als konstruktives Moment sehen.
Die Form so präzise wie nur möglich zu arbeiten, was ja im Polieren endet, und damit sie der Wahrnehmung entziehen, und beides basiert auf ein und derselben Sache.
Die Tatsache der präzisen Skulptur und die Unmöglichkeit des Erkennens, wegen der Lichtreflexe, geschieht als Wechselwirkung.
Die spiegelnde Oberfläche spiegelt das Gegenüber, interpretiert es insofern. Das polierte Objekt ist so nicht nur es selbst, sondern auch seine Umgebung, und das in einem Ding. Es ist das eine andere Geschichte, erinnert aber markant an die Skulptur aus Fäden, die vor allem Raum ist. Beides steht analog zueinander. Und nicht sicher ist ob es dieses mehr ist, oder jenes. Es ist vermutlich beides und dies untrennbar.
So erleben und denken wir es. Wissenschaftlich ist es entweder dieses oder jenes, entsprechend des jeweiligen wissenschaftlichen Spektrums.
Nur in der Kunst kann es sowohl dies als auch jenes sein, gleichzeitig und wechselwirkend.
Eben deshalb brauchen wir Kunst, Ratio kann das nicht.
Nachsatz:
Von Belang ist das Milieu in dem etwas stattfindet. Ein Milieu ist meist geprägt und so ist das Erleben zum Teil "vorbestimmt", das ist in diesem Zusammenhang nicht unbedeutend.
Das Erleben der Intervention im Dom war beeindruckend und bewirkt, dass ich denke was ohne diesem Anstoß so nicht denkbar gewesen wäre. Dafür vielen Dank.