
Originaltext: Dr. Martin Knechtges
St. Thomas von Aquin - Berlin 2006
Die Photos auf den letzten Seiten zeigen, was zu sehen war in den Wochen nach dem Allerheiligentag 2006 in der Kirche St. Thomas von Aquin in Berlin.
Ein Altar, gleichsam aufgehoben vom Boden wie mit sphärischen Kräften, weiße, im Licht des Scheinwerfers leuchtend strahlende Baumwollfäden, die quer durch den Kirchenraum wiesen, die einschlugen in Erde, heraustraten hinter den Säulen, um sich in den Spalten des Altarsteins zu fangen.
Ein Spiel mit Symmetrie und dem Eindruck chaotischer Kräfte, die sich an dieser Symmetrie abzuarbeiten haben. [ ... ]
Es ist ein sehr symmetrischer Raum, in dem die Künstlerin intervenierte, geprägt von einem rechteckigen Grundriss und den vielen waagrechten Lagen der schlanken Bausteine, aus denen die Kirche des Heiligen Thomas Lage um Lage aufgeschichtet ist. Und mit ihrer Arbeit gab Elke Maier dem Raum nicht einfach eine neue Ordnung, wozu ein erster Eindruck der dominierenden Diagonale aus Fäden verleiten könnte. Wer diesen Raum betrat und sich von der Dynamik des Fadengeschehens rund um den Altar einfangen ließ, wen die durch die Spannung der Fäden neu entstandenen Räume in der Kirche zu neuen Blickwinkeln und neuem Begehen reizten, der konnte im Kirchenraum die Erfahrung machen, dass sich Orientierung und Ordnung selbst aufzulösen begann.[ ... ]
Hier aber ergriff, was die Photos nicht zeigen, nicht zeigen können: dass nämlich die vielen hundert Fäden von einem Augenblick zum anderen fort sein konnten, verschwunden waren, wenn man einen halben Schritt zur Seite machte. Wie sie wieder aufschienen nach nur zwei Schritten voran, zahlreicher sogar und noch zarter als zuvor.
Statt des ersehnten Trostes bot der Kirchenraum eine Probe der Unsichtbarkeit - am Morgen, zu Mittag und wenn die Schatten länger wurden. Man konnte warten, bis die weißen Fäden vor dem dunklen Hintergrund hervorzustechen begannen, dann selbst wieder verloschen im Dämmerlicht.
Konnte auslöschen, nur mit einem kleinen Schritt zur Seite. spürte die Präsenz von etwas, das, gerade noch da, nun gänzlich vertilgt schien.
Doch diese Zeit des Probierens ist nun um.
Nur in der Erinnerung noch lässt sich dieser ganz andere Raum betreten.