Friedhelm Hofmann
aus dem Heft: Friedhelm Hofmann, Bischof von Würzburg (Hg.): Rückblick. Aschermittwoch der Künstler 2008
Ein Wort zu Beginn
Der Aschermittwoch der Künstler hat in Würzburg eine lange Tradition. Bereits unter meinem Vorvorgänger, Bischof Dr. Josef Stangl, gehörte er in den 1970er Jahren ganz selbstverständlich zu den festen Größen im Jahreslauf. Bischof Dr. Paul-Werner Scheele stellte sich ganz bewußt in diese Tradition und hat sie während seiner Amtszeit mit Eifer und Elan weiter gepflegt. Das Treffen mit den Kunstschaffenden der Region war für ihn nicht irgendein Treffen, sondern war ihm eine Herzensangelegenheit. Es gab hier also in der Diözese Würzburg ein Fundament, auf das ich seit dem Aschermittwoch 2005 gerne weiter baue.
Die gemeinsame Feier der Aschermittwochsliturgie mit den Künstlern und Künstlerinnen, wie auch die daran anschließenden Veranstaltungen und die so überaus wichtigen Begegnungen vollzogen sich aber bisher weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Diese erfuhr davon lediglich aufgrund der Berichterstattung der kirchlichen sowie der regionalen Presse.
Im Jahre 2008 trat der Aschermittwoch der Künstler dann zum ersten Mal in die Öffentlichkeit: vom 6. bis zum 24. Februar war nämlich die Raum-Intervention der österreichischen Künstlerin Elke Maier im Kuppel-Oktogon der Neumünster-Kirche für alle Interessierten zu besichtigen.
Elke Maier hatte seit Anfang Januar in der Baustellensituation der Kirche gearbeitet, um den Eindruck des an sich so scheinbar bekannten barocken Raumes durch simple Fäden zu transformieren. Am Aschermittwoch, dem 6. Februar 2008, wurde das Ergebnis dieser so frappanten Transformation im Rahmen des Aschermittwochs der Künstler vorgestellt.
Es trat damals ein, was niemand erwartet hätte, in gut zwei Wochen kamen genau 11024 Besucher, um sich der Arbeit der Künstlerin Elke Maier zu stellen. Dass der allergrößte Teil der Besucher sich auf das einließ, was Frau Maier mit ihrer Raum-Intervention beabsichtigte, belegen die Aussagen des Gästebuches auf das Aller-Anschaulichste. Darin finden sich Einträge wie: "Wahnsinn. ihr Kunstwerk belebt die Seele!", "ihr Kunstwerk ist ein Geschenk." oder "bemerkenswert, wie wenige Gramm dünnster Fäden einen riesigen Raum verändern können." Selten sind so begeisterte, direkte und auch persönliche Töne in der Begegnung mit Kunst zu vernehmen.
Die künstlerische Arbeit von Frau Maier baut ganz stark auf das emotionale Erlebnis des einzelnen in ihren Installationen. Ihr Oeuvre hat daher einen eher stillen, in jedem Falle aber einen äußerst ephemeren Charakter, bezieht sie doch das Element des Vergehens schon in ihren schöpferischen Prozess mit ein. Dieser transitorische Charakter korrespondiert direkt zum Aufruf des Aschermittwochs "Bedenke Mensch, dass du Staub bist."
Friedhelm Hofmann Bischop of Würzburg
Predigt am Aschermittwoch der Künstler 2008 (Exzerpt) 6. Februar 2008, Sepultur des Würzburger Domes
Heute erleben wir im Kuppel-Raum der Neumünster-Kirche ein besonderes, temporäres, künstlerisches Ereignis: eine Fadenintervention von Elke Maier. Sie spannt aus feinstem, kaum sichtbarem weißen Seidengarn im Dialog mit dem Raum ein Fadengeflecht.
Die mit zwölf dicht gereihten Fenstern versehene Kuppel-Zone lässt ebenso - wie die Laterne darüber - Licht einfallen, das in dem Fadengespinst aufscheint. Diese haarfeinen Fäden lassen je nach Standort das licht oszillieren. Mal nimmt man über den Faden das Licht wahr, mal ist es gleichsam unsichtbar.
Diese Wirkung ist in dem von jedem Mobiliar befreiten Zentralraum von Neumünster während der jetzigen Bauphase umso eindrucksvoller. Es entsteht ein Dialog des Lichtes mit dem Raum. Das Material lässt sehr spontan und vorübergehend Licht in einer neuen Qualität sichtbar werden. Die Fäden loten den Raum nicht nur horizontal und vertikal aus, sondern ermöglichen den unvermittelten Übergang von Sichtbarkeit zu Unsichtbarkeit.
Die Künstlerin vermerkt dazu: "Ich denke Form nicht als Grenze, sondern als Prozess, als Niederschlag von Spuren einer Bewegung im Raum. Gestalt und Raum bilden keine entgegen gesetzte Polarität, sondern ein Kontinuum beide gleichermaßen durchwirkender Bewegungen (des Lichtes), die sich im Übergang von einem zum anderen vollziehen und sich als Verwandlung vollziehen müssen."
Es stellt sich unwillkürlich die Frage nach Wirklichkeit. Existiert nur das, was wir sehen, oder ist nicht über das Sichtbare hinaus viel mehr vorhanden? Sind wir in unserer Wahrnehmung nicht abhängig vom momentanen Standort? Sind die vielen gespannten Fäden nicht auch dann vorhanden, wenn wir sie nicht sehen können?
In der Konzeptionsbeschreibung stellt Elke Maier fest: "Ich kann mir sehr gut vorstellen, die weißen Fäden vom Kuppel-Zentrum (und damit vom hellsten Bereich der Kirche) aus mitten zwischen den mit Eisengerüsten verstellten Wänden des Langhauses hindurch geradewegs nach vorne zum Altarraum und der anschließenden romanischen Halbkreis-Apsis hin zu führen, wo die Fadenintervention ihren 'abschließenden Blick- und Zielpunkt' finden könnte."
Wenn dies auch nicht konkret umgesetzt werden konnte, so verbindet die Künstlerin mit dieser Absicht aber nicht nur verschiedene Raumteile der Märtyrerkirche unserer Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan miteinander, sondern wagt ein sehr arbeitsintensives Kunstprojekt in einer baustellenhaften Raumschale, das letztlich die innere Dimension der Fastenzeit als Chance der Annäherung an die Wirklichkeit Gottes in einem oszillierenden Fadengeflecht aufruft.
Die parallel gespannten Fäden und Fadenstränge lassen teilweise an eine Harfe denken und assoziieren sogar himmlische Harfen-Klänge. auf den möglichen unterschiedlichen Standorten rund um die aufgetragene schwarze Erde, die im Aufrufen der früheren Anordnung der Kirchenbänke ein gehälftetes Kreuz bildet, kann man die vertikal gespannten Fäden wie eine Spinnweben-Jakobsleiter empfinden.
Die Fäden führen ins Erdreich und wachsen gleichzeitig aus dem leben bergenden Boden heraus. Sie führen aus dem geschöpflichen Leben in das ungeschaffene göttliche Leben. Dabei erschließt sich das aus Erde aufgetragene Kreuz als Zeichen der Todes-Überwindung. Denn obwohl es wie in zwei Hälften zerrissen erscheint, wird es durch die aus der Laterne herunter geführten Fäden fast unsichtbar zusammengebunden. Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt finden in dieser Installation eine anrührende Membrane.
Mit dieser Installation, die sehr arbeits- und zeitintensiv war, wird eine Grundhaltung im künstlerischen Tun aufgerufen, die sich uns auf anagogischem Weg als Brücke zu einer Zeit der Gnade erweisen kann, zu der wir augenblicklich eingeladen sind.
Amen.
Friedhelm Hofmann, Bishop of Würzburg, Dr.phil.art history
Introducing words
The Artists Ash Wednesday has a long tradition in Würzburg. Already in the 1970s, under my pre-predecessor Bishop Dr. Josef Stangl, it was quite natural a fixed date during the course of the year. Bishop Dr. Paul-Werner Scheele consciously continued this tradition and cultivated it during his term of office with great dedication and enthusiasm. For him the meeting of regional artists was not just any date, but a matter of personal importance. So there was a foundation here in the Diocese of Würzburg on which I continued to work with pleasure since Ash Wednesday 2005.
So far the common celebration of the Ash Wednesday liturgy with male and female artists, as well as the subsequent events and the all important encounters were taking place largely unnoticed by the public. They only heard about the celebrations from the reporting of the church and local press.
In 2008, the Artists Ash Wednesday was presented to the public for the first time: from February 6th to 24th, the space-intervention at the dome-octagon of the Neumünster Church, created by the Austrian artist Elke Maier, could be visitedby anyone interested. Since the beginning of January, Elke Maier had been working on site in order to transform the impression of the famous baroque space by simple threads. At Ash Wednesday, February 6th 2008, the result of this so striking transformation were presented as part of the Artists Ash Wednesday.
Then something unexpected happened. Within two weeks exactly 11024 visitors were coming to face up to the work of the artist Elke Maier. The statements in the visitors' book are showing that the vast majority of the visitors was open to what Elke Maier wanted to intend with her space-intervention. Entries like: "Awesome, your artwork stimulates the soul!", "Your artwork is a gift" oder "Remarkable how a few grams of thinnest threads are able to transform a complete room." It is uncommon that such enthusiastic direct and personal opinions are heard in connection with art.
The artistic work of Mrs. Maier, primarily her installations, are basing in the main on the emotional experience of the individual. Her oeuvre has therefore a rather meditative, but in any case a very ephemeral character, because she integrates the moment of ephemerality into the creative process. This transitory character is directly corresponding to the appeal / imperative of Ash Wednesday "Remember man that you are dust."
Friedhelm Hofmann, Bishop of Würzburg, Dr.phil. art history
February 6, 2008, Sepulture of the Würzburg Cathedral
Today we are experiencing an unique, temporary, artistic event at the dome octagon of the Neumünster Church: an artistic intervention, made of threads, created by the artist Elke Maier.
She is straining a thread weave of almost unnoticeable white silk yarn in dialogue / that is interacting with the space.
The dome zone that is equipped with twelve closely spaced windows - as well as the lantern above - enable the light to shine into the room appearing in the weave These subtle threads make the light oscillating depending on position; sometimes we descry / perceive the light above the threads, sometimes it seems to be invisible.
This effect is even more impressive because the central space of Neumünster is not furnished during the current construction phase. An interaction between light and space is arising. The material visualizes light in a new, very spontaneous and temporarily quality. The threads are not only plumbing the horizontal and vertical depths of the room, but they also enable the abrupt transition from visibility to invisibility.
The artist expresses her personal thoughts as follows: "I perceive design not as an ultimate boundary but as a continuing process, as the manifestation of traces of movement in the room. Shape and space do not form a contradictory polarity / are not contradictory to each other / are not in contrast to each other, but they constitute a continuum of interwoven movements of light, which occur in a transition from the one to the other and which have to perform a continuous metamorphosis".
Spontaneous, the question of reality arises. Do we only get what we see or is there much more existing beyond the visible? Isn't our perception depending on our present position? Do the numerous strained threads, not also exist although we are not able to see them?
In the concept description Elke Maier notes: "I can imagine, to draw the white threads from the dome-center (the brightest area of the church) midway through the nave with iron scaffolding straight forwards to the chancel and the adjoined Romanesque semicircle apse where the artistic intervention could find its final visual focus and target point".
Even though the artist could not realize her concept concretely, she consciously connects not only different spatial elements of the Martyrs Church of our Apostles of the Franks Kilian, Kolonat and Totnan by her intention, but she also dares a very labor-intensive art project in a room-shell that is currently undergoing renovation. Her installation finally invokes the inner dimension of Lent as a chance of approach to the reality of God in an oscillating yarn-braiding.
The parallel tensioned thread and yarn lines sometimes remind us of a harp and even associate heavenly sounds of harp. At the various positions all around the black earth-covered area, (( which - by evoking the former arrangement of the Church pews - constitutes / represents the both halves of a cross, )) you can visualize the vertically tensioned threads like a spiderweb-Jacob's ladder / associate the vertically tensioned threads with a spiderweb-Jacob's ladder.
The threads are leading into the ground and are simultaneously growing out of the animated / life containing earth. They are running out of the created life into the uncreated divine life. In the course of this process... ... the cross of earth discloses itself to us as a sign of victory over death // ... the cross of earth is revealed to us being a sign of victory over death // ... we discover the cross of earth as a sign of victory over death. Although it seems to be broken into two halves, it is unified by the almost invisible threads running downwards from the lantern. Heaven and earth, the visible and the invisible world will find a touching membrane in this installation.
This very labor-intensive and time-consuming installation invokes a basic attitude in artistic activity, that can prove - in an anagogic way - to be a bridge to a time of grace, to which we are invited immediately.
Amen.
https://www.medien-tube.de/video/Rauminstallation-Neumuenster-Hunderte-Faeden-im-Sonnenlicht/255b70dc8e9cb9229057